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Abstract

"Die Wärme im Mistbeet" Der Naturforscher, der sich auch leidenschaftlich für Zoologie interessierte, besaß eine umfangreiche, weithin bekannte Naturaliensammlung. Auf seinem Anwesen tummelten sich in Ställen und Volieren allerlei lebendes Geflügel. Angeregt durch eine Dame aus seinem Bekanntenkreis, die sich ratsuchend an ihn wandte, begann sich Réaumur mit der künstlichen Brut und Aufzucht von Hühnern zu beschäftigen. Er experimentierte mit der Wärme von Mistbeeten, in die er anfangs Kisten und schließlich technisch immer ausgeklügeltere Fässer mit Eiern eingrub. Obwohl das Konzept einfach war, erforderte es eine lange Reihe von Versuchen bis sich erste Erfolge einstellten. Temperaturschwankungen, Feuchtigkeit und Dämpfe verursachten große Probleme, wodurch unzählige Eier verfaulten oder Küken kurz vor dem Schlüpfen starben. Ein Jahr nach den ersten Experimenten konnte er der Akademie über seine Brut- und Aufzuchterfolge berichten. In weiterer Folge errichtete er Inkubatoren in Hohlräumen, die an bereits vorhandene Back-, Schmelz- oder auch Zimmeröfen angrenzten, um die dortige Wärme zum Brüten zu nutzen. Zur Überprüfung der Bruttemperatur, die im optimalen Fall 32 °R betragen sollte, dienten die nach seinen Regeln, auf seinem Anwesen angefertigten Thermometer. Für die einfache Landbevölkerung ersann er ein „Butterthermometer“, das leicht selbst hergestellt werden konnte. Es bestand aus einer kleinen Flasche, die mit einem Gemisch aus Butterschmalz und Talg gefüllt war. Je nachdem, ob die Mixtur flüssig oder fest war, erfuhr man ob die Bruttemperatur zu hoch oder zu niedrig war. Zahlreiche Leute interessierten sich für Réaumurs Methoden der künstlichen Brut und suchten seinen Rat. Sogar der Direktor des königlichen Tiergartens schickte einen Vertreter zu Réaumur, der sich mit der Einrichtung der Öfen vertraut machen sollte. Fasane, Rebhühner, Enten und Pfaue wurden fortan in Versailles in Mistbeeten ausgebrütet. Der König liebte es den Vögeln beim Schlüpfen zuzusehen und fand ein besonderes Vergnügen daran den Küken aus der Schale zu helfen. Als Vertrauensbeweis ließ der Monarch ein Straußenei an Réaumur schicken, damit es dieser künstlich ausbrütete. Es stammte von dem einzigen Straußenweibchen der königlichen Menagerie, das nicht brüten wollte. Nach fünf Wochen gab der Naturforscher die Hoffnung auf, ein Straußenküken schlüpfen zu sehen. Das ungewöhnliche Aussehen des Eies war ihm von Anfang an aufgefallen. Es gab aber auch Bedenken. So befürchteten manche Leute, dass die Hühner und deren Eier nach Mist schmecken könnten oder glaubten, dass das künstlich ausgebrütete Geflügel kleiner und unfruchtbar wäre. 1749 erschien Réaumurs Werk über künstliche Brut. In zwei Bänden, illustriert mit fünfzehn Tafeln und 10 Vignetten, unterrichtete er die Leser, wie man Brutöfen einrichtet, Küken aufzieht und Geflügel richtig ernährt. In einer für ihn charakteristischen Weise bettete der Autor praktische Anweisungen in die genauen Beschreibungen seiner Experimente ein. Erzählerisch schilderte er seine Beobachtungen mit allen Erfolgen und Misserfolgen. Auch biologische Aspekte stellte der Autor in seinem Buch dar. Die Leser erfuhren genau, wie sich das Küken im Ei entwickelt und schließlich schlüpft. Um der Frage nach der Entstehung von neuem Leben und der Vererbung nachzugehen, führte er Kreuzungsexperimente mit Hühnern durch. Réaumur, der hoffte mit seinen Methoden die Geflügel- und die Eierproduktion des Landes steigern zu können, veröffentlichte 1751 noch eine erweiterte Version. Diese wurde 1768 ins Deutsche übersetzt, wovon sich ein Exemplar im Technischen Museum Wien befindet. Seine Herkunft und eine jährliche Pension, die er 1722 aufgrund seiner Leistungen im Bereich der Stahlproduktion vom König erhalten hatte, machten Réaumur finanziell unabhängig, sodass er sein Leben ganz im Zeichen der Wissenschaft führen konnte. Er blieb unverheiratet und kinderlos. Im Jahr 1757 starb Réaumur im Alter von 74 Jahren an den Folgen eines Reitunfalles. Quelle: Archivierter Artikel aus der TMW-Website, Abrufdatum (15.09.2020)